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Die unsinnige Hoffnung des Subjekts

“Unsinnig die Hoffnungen der Unverständigen.”
Demokrit: Fragment 292; in: W. Capelle: Die Vorsokratiker; Stuttgart 1968 (~ 460/459 - 371 v. Chr.), S. 464

 Als mit Hegel und später in abgewandelter Form mit Marx das Subjekt Einzug in die Geschichte hielt, schien die Trägersubstanz des Fortschritts, des geschichtlichen Fortschritts gefunden zu sein. Später stellte sich dann heraus, dass das Subjekt nicht immer den Aufgaben nachkam, die man ihm zugedacht hatte. Im Bezug auf die Arbeiterklasse hatte zum Beispiel das Sein in Form der Produktionsverhältnisse einige Implementierungsschwierigkeiten: oftmals schien das Subjekt nicht zu begreifen, wie sein Bewußtsein vom Sein determiniert werden sollte. Darauf beschäftigten sich die einschlägigen Kreise entweder mit der interessanten Frage, was eigentlich wie und durch was und wen vermittelt werden musste, damit das Subjekt zu sich zu kommen konnte oder sie wechselten, wie bei einem chaotischen Pferderennen, einfach den Wettschein und setzten fortan auf ein anderes Subjekt, das den Geschichtsverlauf in die richtige Bahn bringen sollte. Nach der Arbeiterklasse sollten es eben die Studenten (und natürlich die Studentinnen!) richten. Nachdem diese angefangen hatten verheißungsvoll zu revoltieren, erwiesen sich die meisten ihrer Ideen als nur bedingt wirklichkeitsrobust oder endeten in Gewaltverstrickungen. Danach besannen sich die subjekt-suchenden Subjekte auf die Maxime: warum in der Nähe weilen, wenn die Guten sind so fern. Die sogenannte Peripherie wurde zum Zentrum der Hoffnungen. Die Ausbeutung verläuft hier schließlich auf einer synchronen (der brutale Weltmarkt) und asynchronen Achse (die böse Kolonialzeit). Und doppelt hält bekanntlich besser. Nur die Revolutionen kamen auch hier nicht in richtig in Schwung (oder gingen nicht in die richtige Richtung). Zum Glück ist die räumliche Distanz eine große, so dass die Enttäuschung von der schönen Vorstellung überlagert werden konnte, dass da draußen in der Ferne die edlen Menschen nur auf den richtigen Augenblick warten, um uns zu zeigen, dass und wie die Geschichte voran schreitet.

 Nur hatte sich der Weltgeist scheinbar einen anderen Plan ausgedacht, um den Westen das sogenannte Subjekt der Geschichte näher zu bringen. Die 'Flüchtlinge' verließen den Schauplatz des ihnen zugedachten Wirkens und kamen als Opfer und nicht als Gestalter der Verhältnisse in den europäischen Zufluchtsraum. Nichtsdestotrotz blieb ein Stück linke Resthoffnung, hatte man es doch scheinbar mit einem unschuldigen und reinen Subjekt zu tun, das noch nicht durch den Mahlstein der westlichen Dekadenz zermürbt worden war. In diesem Sinn keimte die Hoffnung, dass das noch fremde Subjekt in der passenden Umgebung sich großartig entfalten würde. Nur zeigte sich dieses konkrete Allgemeine in seiner wirklichkeitsgesättigten Form: statt als reines Opfer zu beginnen, nahm das neue Subjekt auch einige rückschrittliche Dinge für sich in Anspruch. Das Subjekt war zum Teil auch homophob, frauenfeindlich, autoritär und gewaltbereit.

 Wenn die Hoffnung, auch die unsinnigste, tatsächlich immer zuletzt stirbt, könnte das auch daran liegen, dass sie die Wirklichkeit und die mir ihr verwobenen Tatsachen nur ungenügend zur Kenntnis nimmt. Wenn das Subjekt des Fortschritts nicht auszumachen ist, so die Logik vieler Linken, so ist es doch eine passende Gelegenheit zumindest die Rolle des Unheilverhinderers selbst zu übernehmen. Der imaginäre Restsinn dieser Hoffnung nährt sich vor allem daraus, dass man relativ undifferenziert und großzügig mit den Begriffen Populismus, Rassismus und Faschismus um sich werfen kann. Die Aufgabe der diffusen Fortschrittsverteidigung und 'Subjektrettung' entbindet von der Frage nach dem Sinn dieser Ideen. Hauptsache die eigene Eschatologie kann noch einige Schritte weiter laufen, auch wenn der Kopf schon länger fehlt.

30. September 2017