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Die Leichtigkeit des Schmerzmittels

Tocotronic - Die Verdammten (2018)

Der Song "Die Verdammten" von Tocotronic (aus dem Album "Unendlichkeit" von 2018) vermittelt etwas für die Band durchaus Untypisches: nämlich den Lob- und Abgesang auf ein konkretes Stück Sein -  auf die Schmerztablette Ibuprofen. Untypisch deshalb, weil ansonsten bei Tocotronic und dem Sänger Dirk von Lowtzow textlich die große Kunst der verschwurbelten Tiefsinnigkeit gepflegt wird, was sich etwas denunziatorisch anhört, aber keineswegs so gemeint ist; ich sag mal einschränkend: nicht ganz so gemeint ist. Schließlich muss man die aufgeladenen und schweren deutschen Begriffe ja erstmal auf eine coole Art und Weise und zudem zeilenweise aneinanderreihen, ohne dass es sich einerseits pathetisch platt anhört oder andererseits ins Triviale versinkt (Zum Beispiel der Song "Ich würd's dir sagen", gleiches Album. Dort tauchen in folgender Reihenfolge folgende Wörter / Wortpaare auf: "tiefster Nacht, Sternenkind, Begehren, Mondlicht, dunkle Gefühle, Höhle, dunkle Stunde, Wind tobt, alles schwer, sterbe, Leben leer". Ist das große Lyrik? Ich würd's dir sagen, wenn es so wär.) 

Kurzum, die Kunst der tiefsinnigen Oberflächlichkeit ist bestimmt keine leichte, auch wenn es sich zuweilen wie eine in die Erwachsenenwelt überführte Schülerlyrik anhören mag. Nicht aber so bei den "Verdammten". Hier wird eine kleine Schmerzgeschichte erzählt, die morgens im Badezimmer beginnt, über das Morsesignal der Zahnbürste bis hin zur (Kaffee)Tasse führt und eine rhythmische Erlösung in Form des Refrains bietet. Dabei kommt der Song leichtfüssig daher, als fast flockige Ode an die pharmazeutisch induzierte Leidensreduzierung und Kohärenzvermehrung, die jedoch, ohne Ambivalenz geht's nicht, zugleich das Eingeständnis der eigenen Schwäche, das Angewiesensein auf Hilfe implizieren.Die Verdammten, mit Anklängen zu den Verbannten, sind verdammt, weil der Rückgriff auf sie die eigene Souveränität untergräbt und die Abhängigkeit erhöht (sie zu Bekannten macht). So spiegelt sich im kleinen Konkreten, weil es eine gute Konkretion ist, schlussendlich doch das große Ganze.

Heimatlied auf Umwegen

Rammstein - Ausländer (2019)

Wenn eine deutsche Band wie Rammstein, die laut Wikipedia zur "Neuen Deutschen Härte" gezählt wird, einen Song mit "Ausländer" betitelt, dann schrillen bei einigen Leuten die Alarmglocken. Um was mag es gehen? Um pure Provokation? Oder um das Abrutschen in die Niederungen des Fremdenhasses? So man die Band kennt, möchte man sogleich ausschließen, dass es sich um ein ausländerfeindliches, oder, um gleich politisch korrekter zu sprechen, ein rassistisches Lied handelt. Doch reflexartig hebt sich der innere moralische Zeigefinger: Ausländer? Sagt man nicht bitte schön Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund (aber wer weiß schon ganz genau, wo heutzutage die Linie des Neusprechs verläuft)? Oder verhält es in Wirklichkeit andersherum? Sind Rammstein im Namen der guten Gesinnung unterwegs? Werden die Feinde der offenen Gesellschaft mit dem Begriff 'Ausländer' nur geködert, um sie gnadenlos mit ihren bösen An- und Absichten bloß zu stellen.

Aber nein, ganz so einfach machen es sich - und uns - Rammstein nicht. Ihre Sprechposition, um diesen eigentümlichen Begriff aus pädagogischen Gründen zu verwenden, befindet sich keineswegs an dem kritischen, moralisch aufgeladenen Ort der guten Seelen (meist auch schon toten Seelen, um einen alten Witz zu variieren, der da lautet, dass die Kantsche Moral saubere Hände, aber keine Hände hat), von dem aus die Belehrung der vermeintlich Ewig-Gestrigen gebetsmühlenartig und routiniert von statten gehen könnte, nach dem Motto: Ausländer rein, refugees welcome. Stattdessen eine affirmative Selbstzuschreibung. Allerdings werden die Anhänger der‘ Wir-sind-alle-eine-Familie-Idee‘, die darauf hinweisen, dass auch wir, also ‚wir die Deutschen‘, fast überall auf der Welt Ausländer sind, an dieser Selbstbezichtigung - der Refrain des Liedes lautet 'Ich bin Ausländer' - wenig Freude haben. Denn hier dient die Affirmation dazu, die Macht des Mannes, die ihm durch Geschlecht, Hautfarbe und ökonomischem Status zukommt, hemmungslos für den eigennützigen Lustgewinn auszuspielen. Mann reist in die Welt hinaus, um das andere Geschlecht mit einem kurzen Quicki - schließlich bleibt man nicht die ganze Nacht, sondern nur für ein paar Stunden - weniger zu beglücken, als auszubeuten.

‚Ich bin Ausländer‘ ist der Mann, der genug Geld hat um sich international 'Liebe' zu erkaufen. Alles in einwandfreiem Deutsch gesungen, garniert mit einigen Wendungen anbahnungsaffiner Sprachbrocken auf Englisch, Französisch und Italienisch. Aufatmen, handelt es sich nicht doch um ein Aufklärungslied, das in scheinbarer Affirmation den Machismo des westlichen Sex-Tourismus umso gründlicher entlarvt? Mag der Text auch ironisch gebrochen sein, geht der Song in dieser Lesart nichtsdestotrotz ruckzuck durch den Wir-sind-gute-Menschen-TÜV. Ja wenn, ja wenn nicht in einer letzten Textwendung die Sprechposition des Sängers nochmals eine kleine Verschiebung erfahren würde, die das Ganze etwas ambivalenter werden lässt. Die letzten Zeilen lauten in steter Wiederholung: "Du kommen mit, ich dir machen gut". Spricht hier also der aus dem Ausland heimgekehrte Inländer in einem einfachen (und falschen) Deutsch zu einer im Inland 'verweilenden' ausländischen Frau, die nur gebrochen die Landessprache beherrscht? Vielleicht. Kann aber auch ein Satz sein, der von einem Ausländer zu einer deutschen Frau gesagt wird. In diesem Sinn wäre es eine herbeizitierte letzte männliche Solidarisierungsgeste, die zugleich den romantischen Blick auf den inländischen Ausländermann entlarvt. Auch Ausländer bleiben Männer wenn sie nach Deutschland kommen, mag ihr ökonomisches Kapital auch mit dem geschlechtlichen nicht mithalten können. 

Während begrenzte und gehegte Räume immer auch die Chance auf Schutz, Ausgleich und Vermittlung bieten, neben der Gefahr der Abschottung und Ausschließung, forciert die Perforierung von Grenzen, primär verursacht durch die anhaltende Schubkraft der Globalisierung, aber auch befördert durch die Aussetzung von Grenzkontrollen oder durch die temporäre Aufgabe oder gezielte Unterminierung von Grenzen, die Macht des Stärkeren und den Egoismus des Individuums. In diesem Sinne trägt eine hemmungslose Öffnung, ebenso wie eine rigide Schließung, immer auch das Zeichen von Gewalt. Sich um das „Eigene“ kümmern? Packe sich jeder (und auch jede) an die eigene Nase und werde nicht blind dafür, dass das Außen nicht immer das gute Andere ist. Dieser sich etwas ins Abstrakte überschlagende letzte Absatz sollte zu der Konklusion führen, die lautet: "Ausländer" ist im besten Sinne des Wortes ein Heimatlied.

Großstadtliebe auf Speed

Ideal - Berlin (vom Album "Ideal" 1980)

Der Song "Berlin" von Ideal (aus dem Album "Ideal" von 1980) war zweifellos geniales Aufbruchlied der einsetzenden neuen deutschen Welle. Konventionelle Rock-Musik war out und es wurde wieder deutsch gesungen - in der liebevollen Song-Analyse von Dirk von Petersdorff und Christiane Wiesenfeldt - 2018, online zu finden im FAZ-Blog - wird dies auch ausführlich gewürdigt. Dort ist zu lesen, dass die Zeit Anfang der 80er reif war, um sich auch in der Pop-Musik wieder mit Heimat und der deutschen Sprache zu beschäftigen. Die weitere Song-Analyse wandert von der musikalischen (Mischung aus Post-Punk-, New-Wave-, Rock-Elementen) über die textliche (Wahrnehmung und Beschreibung einer politisch, religiös und sozial heterogenen deutschen Gesellschaft) zur politischen Ebene (kein Anspruch mehr auf Polit-Rock) und kommt zu dem Schluss, dass der Song am ehesten ein Bekenntnis zur (Sprach-)Musik selbst wäre und immer noch beim Hörer das Gefühl der Refrain-Zeile "Ich fühl mich gut" auslösen würde.

Weshalb also noch weitere Zeilen verschwenden? Nun, weil diese Wahrnehmung meines Erachtens nur die Hälfte der und dieser "Song- und Pop-Wahrheit" trifft. Wenn es stimmt, dass guter Pop beide Seiten des Lebens zusammenklingen lässt, den bejahenden Lebensrausch und die destruktiven Impulse, die Affirmation und die Negation - der Gefühle und Verhältnisse -, das große und das kleine Ja und Nein, so tut man auch dem "Berlin"-Song Unrecht, will man ihn auf eine "Gut-Fühl-Hymne" runterbrechen. 

Zunächst sei an die Zeit Anfang der 80er Jahre erinnert: Krise allenthalben; Krise der Ökonomie (Öl-Krise 73, 79), Krise der Ökologie bzw. Auftauchen der ökologischen Frage (Club of Rome 72 > Waldsterben Anfang 80er), Krise der Politik (Gewalt der RAF = Deutscher Herbst, NATO-Doppelbeschluss 79). Kein Wunder, dass die Punkbewegung Ende der 70er Jahre die Systemfrage mit dem Slogan 'No Future' beantwortete. Deshalb relevant, als dass die NDW an Punk-Musik und -Weltsicht durchaus anknüpfte. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang ist auch der Status Berlins als geteilte Stadt. Wer vor dem Mauerfall West-Berlin erleben durfte, kann sich an das eigenartige Inselgefühl erinnern, das einen latenten und schizophrenen Ausnahmezustand erzeugte: auf der einen Seite ein zuweilen euphorisches Freiheitsgefühl, da geographisch und mental losgelöst von der zugehörigen Restrepublik, und auf der anderen Seite eine schwelende Drohung und Beengung, da die Stadtgrenzen zugleich Todesstreifen waren und jeder Grenzübertritt ein unangenehmes Abenteuer heraufbeschwor. Dies also der kulturell-politische Hintergrund der Zeit. Kann man ernsthaft davon ausgehen, dass damals eine Berliner Band ein Berlin-Lied mit einem ungebrochenen "Ich fühl mich gut" präsentierte? Auch der Song selbst ist in sich keinesfalls ohne Ambivalenzen. Zweifelsohne spiegelt sich im Text Lebenslust und -Energie wieder, aber ebenso die Schattenseiten der Stadt, als da wären: Alkohol, Kontrolle, Betrug, Junkie, Ruinen, Hundekot, Neonlicht. Keine Idylle, sondern eine in sich gebrochene Großstadt, weniger Bild, denn Scherbenhaufen, durch den man sich illusionslos-lustvoll und drogenaffin bewegt. Wie überhaupt der Text an die expressionistische Großstadtlyrik der 20er Jahr erinnert, ebenfalls eine unruhige Zeit. Schließlich musikalisch: tanzbare Energie verströmt der Song unbestritten, aber ebenso eine Hektik, die droht ins Hysterische umzukippen, so also ob alles unter Speed stünde und es nur noch einer kleinen Schraubendrehung bedürfte, um den Klippenrand zu überschreiten. So ist "Berlin" auch der Tanz auf dem Vulkan und das "Ich fühl mich gut" die trotzige Antwort auf die Frage, ob es denn ein richtiges Leben im falschen geben könnte.

16 Juni 2019

Schlimme Dinge und die Sache mit der räumlichen Distanz

Funny van Dannen - Räumliche Distanz 

Der Song "Räumliche Distanz" von Funny van Dannen (aus dem Album "Clubsongs" von 1995), vermittelt auf einfache Art und Weise einen wichtigen Gedanken: unsere Gefühlswelt, ja unser Leben wäre nicht auszuhalten, wenn es nicht Distanzmechanismen geben würde, die allzu Bedrängendes und Leidvolles für uns - zumindest ab und zu - auf Abstand halten würden. Denn die räumliche Distanz steht hier nicht einfach für eine physikalische Größe, die dafür sorgt, dass wir von bestimmten Dingen gar nichts wissen können, sondern bezeichnet die, zumeist unbewußte, Distanznahme selbst. Denn im Song werden die Ambivalenzen des Lebens benannt, die wir, eben weil sie in ihrer Universalität meist trivial sind, kennen dürften: man lacht, andere sind traurig. Da unser Leben aber ein umögliches wäre, würden wir permanent um jede Tragik und Ungerechtigkeit weinen, ist Distanznahme, Vergessen und auch Nichtwissen(-wollen) unumgänglich.

Andererseits muss man betonen, dass es sich keineswegs um ein reaktionäres Lied handelt, das sich dem Leid der Anderen gegenüber verhärtet. Vielmehr zeigt der Song ganz anschaulich (und musikalisch melancholisch), dass wir die Tragik des Lebens letztendlich nicht lösen können, erinnert uns aber zugleich daran, dass diese Tragik unausweichlich existiert. Dies ist der Stachel des Liedes, der so tief sitzt, dass wir beim Refrain unseren Affekthaushalt nur durch ein lautes Lachen über unser - in der Tat - 'unmögliches Leben' ins Gleichgewicht bringen können. Große Kunst die schweren Dinge leicht zu machen.