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Die Wege des Herrn ...

... sind unergründlich. So auch hier. Ich mag Bücher, diese kleinen Universen, die sich in immer neue Dimensionen auffalten. Und so kommt es, dass neben den vorhandenen Büchern, relativ vielen Büchern, weitere neue Bücher hinzukommen. Jedes Buch ein neues Versprechen auf neue Entdeckungen, auf neue Leseerlebnisse. Natürlich hält die Lesegeschwindigkeit dem Erwerbstempo nicht stand, so dass die Leseoptionen sich stetig vermehren und der Regalplatz stetig schrumpft. Oftmals bleibt es bei den ersten paar Seiten, die man zu Ehren des neuen Buches liest, um es dann für Tage, Monate, manchmal Jahre beiseite zu legen. Und erst der Tod wird bezeugen, wie viele Bücher schließlich zu Lebzeiten nicht aus ihrer Einsamkeit erlöst worden sind. Die ersten Seiten also ... Lászlo F. Földényi "Melancholie", Lew Schestow die "Apotheose der Grundlosigkeit", beide bei Mathes & Seitz verlegt.

Bei Schestow lese ich: "Sind aber unabgeschlossene, unordentliche, chaotische Erwägungen, die nicht durch den Verstand gerichtet sind, die widersprüchlich sind wie das Leben selbst - sind sie nicht unserer Seele näher als irgendwelche, womöglich gewaltige Systeme, deren Schöpfer sich weniger um das Verständnis der Wirklichkeit bemühen als vielmehr darum, sie 'einzuvernehmen'." Schestow, Lew: Apotheose der Grundlosigkeit; Berlin 2015, S. 12
Wenig später bei Földényi stoße ich auf eine fast komplementäre Textpassage, in der es heißt: "(...) doch muss das Wort, um wahrhaft Bedeutsamkeit und Bedeutung zu erlangen, mit seinen eigenen Ausgeliefertsein rechnen, seiner eigenen Zerbrechlichkeit gerecht werden." Földényi, Lászlo F.: Melancholie; Berlin 2004 (1984), S. 10

Die unabgeschlossene, unordentliche Erwägung und das zerbrechliche, ausgelieferte Wort berühren uns, unseren Bedeutungshorizont und unsere Seele, nicht trotz, sondern wegen ihrer Unvollkommenheit und Fragilität. So haben mich nicht nur die ersten Textseiten beschenkt, sondern auch das zufällige Zusammenspiel dieser beiden Anfänge. Und dann denke ich an 'die Wege des Herrn' und mir geht auf, dass in diesem Zusammenhang nichts falscher sein könnte, als der ordnende Herr, der für uns die Dinge, wie undurchschaubar auch immer, zu einem Ziel zusammenfügt. Fernab der Erlösung ist das Geschenk unsere Offenheit für un-wegbare Unvollkommenheiten. Alle Bücher werden niemals ausgelesen.

30. Januar  2018