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Ein anderer Ausgang?!

Ach, wie schön könnte das Leben sein, wenn die Welt doch schöner wäre. Die Welt hat durchaus schöne Seite, wer könnte dies bestreiten. Und manchmal kann man sich die Welt auch schön denken, oder sie sich schön sehen und hören. Vielleicht muss man sie sich manchmal auch schön trinken. Doch in grossen Krisenzeiten helfen diese Ideen nicht wirklich; das mit dem Trinken vielleicht ein bißchen. Von heute aus betrachtet kommen mir die letzten 20-30 Jahre wie eine grosse Atempause vor, die sich nun ihrem Ende zuneigt. Die Geschichte fängt wieder an, mit aller Macht wild um sich zu schlagen. Dies wirkt umso eigenartiger, als dass auch zuvor, in der 2-WK-Nachkriegsordnung, die Zeit an vielen Stellen still zu stehen schien. Mit den Atomwaffen wurden nicht nur das gegnerische System abgeschreckt, sondern ein wenig auch der Zeitenfluss, so könnte man meinen (Ein Politologe titelte nach '89 furchtsam ereignis-ahnend, aber folgerichtig: "Der Tunnel am Ende des Lichts"). Eine Illusion, denn genug passiert ist nach '45 allemal. Der Schrecken hat viele Gesichter und beizukommen ist ihm scheinbar nicht.

Auch wenn der Schrecken ubiquitär sein sollte und sich sehr oft das Leid hinzugesellt, man also schreckenstechnisch nur selten mit dem Schrecken davon kommt, sind die Schauplätze des Schreckens zeitlich und räumlich durchaus zu verorten. Sie bringen oftmals ihre eigene leidvolle Färbung mit sich, was insofern einen kleinen Trost zu spenden vermag, als dass sie das Erinnern ermöglichen. Und vor dem Schrecken ist manchmal die Ahnung, in der sich Zukünftiges in der Gegenwart ankündigt. Eine sich bewahrheitende Ahnung bringt mehr Kausalität mit sich, als ihr zusteht. 'Es hätte auch ganz anders kommen können', hat dann eine sehr blasse Färbung. Trotzdem frappiert es ungemein, wenn Sätze aus der Vergangenheit herüberwehen, die für die Gegenwart geschrieben sein könnten, wie zum Beispiel in Erich Kästners Faber von 1931:

"Und jetzt sitzen wir wieder im Wartesaal, und wieder heißt er Europa! Und wieder wissen wir nicht, was geschehen wird. Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende." 
Erich Kästner: Fabian: die Geschichte eines Moralisten. 5. Auflage 2020. Zürich: Atrium Verlag, 2020; S. 68

Wir sitzen wieder und wieder im gleichen Wartesaal, das wirklich provisorische Leben kündigt sich an, aber die Geschichte wird bestimmt einen anderen Ausgang nehmen, so wie sie es immer tut, wenn die Zeit sich durch sie bewegt. Allein, als eine Verheißung taugt dieser Gedanke wenig.

30. Juni 2022