Ferne Bleibe
"Die kontinuierliche Geschichte ist das unerläßliche Korrelat für die Stifterfunktion des Subjekts: die Garantie, dass alles, was ihm entgangen ist, ihm wiedergegeben werden kann; die Gewißheit, dass die Zeit nichts auflösen wird, ohne es in einer erneut rekomponierten Einheit wiederherzustellen; das Versprechen, dass all diese in der Ferne durch den Unterschied aufrechterhaltenen Dinge eines Tages in der Form des historischen Bewußtseins vom Subjekt erneut angeeignet werden können und dieses dort seine Herrschaft errichten und darin das finden kann, was man durchaus seine Bleibe nennen könnte."
Michel Foucault: Archäologie des Wissens; Frankfurt/M. 1988 (1969); S. 23
Der Glaube an den Fortschritt, die kontinuierliche Geschichte, an 'das' Subjekt: schon längst dahin. Man könnte diesen Satz in die Schublade eines "postmodernen Wissens" (was immer das ist) einsortieren und sich der verwirrten Ordnung der Dinge widmen. So man ihn jedoch persönlich schultert, wird es witziger: Ich bin ein dezentriertes Subjekt, ich kann nicht eine, d.h. meine konsistente Geschichte erzählen, ich habe Dinge und Momente an mir vorbei ziehen sehen, die niemals wiederkommen werden, ich habe Dinge vergessen, die mich wieder einholen werden, um mir die Umumkehrbarkeit meines Lebens schmerzhaft vor Augen zu führen, ich habe Dinge erlebt, die ich nicht sinnvoll in meine Biographie einordnen kann, die ich nicht verstehe, dich ich nie verstehen werde, die meinem Selbstbild widersprechen und mein Alter wird mich nicht einer verheißungsvollen Zukunft entgegenführen, sondern im Gegenteil meinen Geist und meinen Körper Tag für Tag mehr limitieren.
Glaubt doch keiner.
22. März 2024