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Intermezzo: die Moral zweier pseudo-politischer Aussagen

Nicht scheint vertrauter als das Politische, denn überall werden wir mit politischen Fragen konfrontiert. Und die Welt sorgt zuverlässig dafür, dass der Stoff, aus dem unsere politischen Angelegenheiten bestehen, nicht auszugehen droht. Hochpolitische Zeiten also. Dennoch: zuweilen verschwindet das Politische, wie bei einem gut geübten Taschenspielertrick, einfach zwischendrin. Oftmals wird dieser Trick gar nicht bemerkt, erstaunlicher Weise auch von jenen Personen, die ihn in aller Öffentlichkeit aufführen. Hier zwei Beispiele, die deshalb so schlagend sind, weil sei aus entgegen gesetzten politischen Spektren stammen. Zunächst der Bundesvorsitzende der Freien Demokratischen Partei (FDP), Christan Lindner, der mit Blick auf die "Fridays for Future"-Bewegung am 10. März 2019 twitterte:

 "Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis."

 Dafür hat Herr Lindner sehr viel Kritik einstecken müssen, obwohl die Motivation für diesen Tweet meines Erachtens durchaus einen politischen Kern hat, da er auf die moralische Überformung politischer Angelegenheiten reagiert. Statt aber darauf zu verweisen, dass politische Fragen nicht durch hyper-moralische Standpunkte gelöst und adressiert werden können, wählt Lindner den anderen a-politischen Fluchtweg und verweist auf die Kraft der Funktionslogik. Denn wo etwas mit Wissen angegangen werden kann, da braucht niemand mehr irgendetwas zu entscheiden, sondern kann sich auf die Wahrheit der Experten verlassen. In gleicher Weise spricht Lindner auch die jüngere Generation auf seiner Website mit folgenden Slogan an: "Wir bewerben uns nicht als Eure Erziehungsberechtigten, sondern als Eure Problemlöser". Verlangen politische Fragen und andere identitätsaffizierende Angelegenheiten lediglich nach einem Problemlösungsauftrag und einem entsprechenden Experten?

 Nun ist es einfach, sich über jene Leute lustig zu machen, die scheinbar eine Gebrauchsanleitung für unser gemeinsames Leben gefunden haben, wenn nicht auf der "anderen" Seite, also auf jener, die meint, dass politische Angelegenheiten sich mit einer einwandfreien (zumeist linken) Moral (und guten Willen) prima lösen lassen, dieselbe Funktionslogik im Schatten einer zuweilen unzuverlässigen Mehrheitsmeinung in Anschlag gebracht wird.

 Die deutsche Kapitänin Carola Rackete, eine ausgewiesene Seenotretterin von Mittelmeer-Migranten, also zweifelsohne im obersten Regal des derzeitigen Angebots an moralischen Zurüstungen zu finden, sagte in einem Interview-Fragebogen der ZEIT vom 3. September 2019 auf die Frage, ob es richtig sei, politische Entscheidungen zu treffen, auch wenn man weiß, dass die Mehrheit der Bürger dagegen ist:

 "Nur, wenn die Bürger nicht über das nötige Wissen verfügen. Im Idealfall werden die politischen Entscheidungen ja von Menschen getroffen, die sich in ihrem Gebiet auskennen oder zumindest beraten lassen."

 Vermutlich ist Frau Rackete viel bürgerlicher als sie denkt und Herr Lindner viel unpolitischer als er ahnt.

31. Oktober 2019