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Kein Stein auf dem anderen

"Der Boden wankte unter seinen Füßen, alle Wände des Gefängnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Straße zu einzustürzen, und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des gegenüberstehenden Gebäudes verhinderte, durch eine zufällige Wölbung, die gänzliche Zubodenstreckung desselben."
Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili; in: Sämtliche Erzählungen und Anekdoten; München 1978 (1807); S.  145 f.

Die erste Katastrophe in der Kleist-Erzählung, das Erdbeben, schenkt den Protagonisten, den beiden Liebenden, das Leben, nur um sie in der Endkatastrophe, die nach dem Erdbebeben in einer Kirche ihren Ausgang nimmt, von einem aufgebrachten Mob erschlagen zu lassen.

Nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 ist dies natürlich ein bitterer Kommentar auf die Jesus-Worte in Bezug auf die Pharisäer und den Tempel, die da lauten: ‘Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.’

Die Steine fallen falsch. Tröstet es, wenn zum Schluß alle unter einem liegen?

29. November 2014