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Schmutzige Mischung

"Nämlich diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, mögen wohl, ohne dass es freilich die anderen merken, nach gar nichts anderm streben, als nur zu sterben und tot zu sein."
Platon: Phaidon; in Platon: Sämtliche Werke I, Heidelberg 1982, S. 739

 Ein Topos der abendländischen Geschichte ist zweifelsohne die Dualität von Leib und Seele, wobei der letzteren von Platon die Attribute der Unsterblichkeit, Vernünftigkeit, Unauflöslichkeit zugeschrieben werden und für den Leib lediglich das Beiwerk der Unvernünftigkeit, Vergänglichkeit und Vielgestaltigkeit bleibt. Die Operation der Philosophen besteht also in der vorzeitigen Vertiefung und Trennung, sozusagen nicht nur zu Leb-, sondern auch zu Leibzeiten, dessen, was sich mit dem Tod, so die platonische Logik, sowieso vollziehen wird. Bis zum Freudschen Todestrieb, der laut Freud das Jenseits des Lustprinzips darstellt, zieht sich dieser Dualismus durch die Jahrhunderte.

 Warum aber etwas denkerisch vertiefend Trennen, wenn dieses Etwas sowieso unausweichlich ist, könnte man fragen. Wo liegt die Motivation, wo das Versprechen dieser philosophischen Tat? Kurzum: in der Souveränität einer Grenzziehung, die aus der Schwelle des Todes eine Linie macht, der man sich nicht nur nähern, sondern die man auch besitzergreifend überschreiten kann. Jede Meta-Physik ist auch Trans-Physik, Raumnahme im Namen der eigenen Unsterblichkeit.

 Paradoxer Weise 'funktioniert' diese Metaphysik in einer bestimmten Weise tatsächlich und zeitigt tatsächliche Effekte. In jeder Wiederholung, deren Verschiebung wir übersehen wollen - denn keine Wiederholung ohne Verschiebung -, zeigt sich in uns der Metaphysiker. Der Drang zur Wiederholung, zur Schließung und Eindeutigkeit macht uns zu Verbündeten nicht eigentlich des Todes, sondern des Leblosen, macht uns zu lebenden, zuweilen mächtigen Toten (ohne dass wir es merken, um mit Platon zu sprechen). Aber, irritierend genug, es kann Genuss darin liegen (und, wie könnte man es verdrängen, Leid daraus resultieren). Dies zu übersehen, hieße etwas blauäugig auf eine reine Ethik der Öffnung zu setzen. Leben bleibt eine schmutzige Mischung und der Tod eine Schwelle.

30. Juni 2017