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Der unerschöpfliche und einzigartige Anfang

"Der Reichtum jedes echten Wortes, der eben doch niemals ein bloß verstreutes Vielerlei von Bedeutungen ist, sondern die einfache Einheit des Wesentlichen, hat seinen Grund darin, daß es Anfängliches nennt und jeder Anfang unerschöpflich und einzig zugleich ist."
Martin Heidegger: Hölderlins Hymne »Andenken«; Gesamtausgabe Band 52, Vittorio Klostermann, Frankfurt/M., 1982 (1941/1942); S. 15

Und alle sagen, schreiben, denken: was für ein schrecklich-wirres Jahr dieses 2016 doch war. Hingegen hoffnungsfrohe Worte für das nächste von einem Denker, den viele als Teil eines Problems und nicht einer Lösung sehen? Das obige Zitat von Martin Heidegger stammt aus einer Vorlesung, die er im Wintersemester 1941/42 gehalten hat, zu einer Zeit, in der der Krieg gegen die Sowjetunion auf Hochtouren läuft . Heidegger spricht in einer solch prekären Kriegs- und Krisenzeit über Hölderlins Hymne 'Andenken'. Eskapismus, Zynismus? Wohl kaum. Obiger Satz kann nicht nur in einer poetologischen, sondern auch in einer politischen Weise gelesen werden: Gegen die eine vorgebliche Wahrheit wird auf den unerschöpflichen Anfang verwiesen, dem zugleich in seiner spezifischen Einzigartigkeit auch eine besondere Adressierungs-Macht zukommt. Andenken,

31. Dezember 2016

Marketing-Lektion 1

"Das Bedürfnis gilt als Ursache für die Entstehung: in Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen."
Friedrich Nietzsche: Die Fröhliche Wissenschaft; Frankfurt/M. 1982 (1882); S.160 (§ 205)

Marketing ist keine Technik, die sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, um zum Beispiel Dinge zu bewerben. Marketing erschafft Wirklichkeit, primär die innere. Der Kaufimpuls muss im Konsumenten nicht nur aufgrund von - beispielsweise - Nützlichkeitserwägungen aufkeimen, denn diese sind begrenzt und schwankend. Vielmehr muss er auf etwas beruhen, das vom Konsumenten als ein Ureigenes identifiziert wird. Der nachträgliche Effekt wird zur vorgängigen Ursache. Vom: Das brauche ich - zum: das bin ich.

27. November 2016

Unbestellbarkeit

“Man stelle sich einen Mann vor, der durch Veranlagung und Mißgeschick zu einer blassen Hoffnungslosigkeit neigt - kann irgendeine Beschäftigung geeigneter erscheinen, sie noch zu verstärken, als das fortwährende Umgehen mit unbestellbaren Briefen und ihr Sortieren für die Flammen?”
Herman Melville: Bartleby, der Schreiber, Frankfurt/M., Leipzig 2004 (1853), S. 73

Es gibt Tage, da scheint unser aller Tagesgeschäft daraus zu bestehen, unbestellbare Briefe mit uns herum zu tragen. Das Gebet als Flaschenpost der Seele?

30. Oktober  2016

Neinsager und Jasager Freitag

“Optimist ist mit Notwendigkeit der, dessen Wille noch nicht reif ist für den Tod.”
Philipp Mainländer: Vom Verwesen der Welt und anderen Restposten, Walttrop und Leipzig 2004 (1874), S. 101

Ist das nun ein pessimistisch gefärbter Satz? Und wer ist schon reif für den Tod? Anfänglich, vor jeder Fraglichkeit des Seins (vor jeder Frage als Aufgabe der Philosophie) ein ursprüngliches Ja. Erst auf dieser Folie kann die Frage nach Optimismus oder Pessimismus gestellt werden. Unser Wille, der sich berufen fühlt, zu steuern, ist schon ans Ja-Leben verschuldet.

25. September 2016

Es gut meinen

“Ein jeder meint es unendlich gut mit der Menschheit, nicht aber mit jedem einzelnen Menschen.”
Karel Capek: Das Absolutum; Berlin 1990 (1922), S. 172

Je abstrakter und ungreifbarer das Ziel unserer Utopien, umso einfacher verschwindet das Widerständige aus dem Bewußtsein.

28. August 2016

Kurz und lang

'Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.' Ein Sprichwort-Klassiker aus Schillers Glocke, die bekanntlich nur so von zitierfähigen Weisheiten strotzt. Da der Entstehungsprozess einer Glocke von Schiller mit den einzelnen Lebensabschnitten parallel geführt wird, steht nun beim Guß(!) der Glocke die Ehe an, was lebensphasentechnisch zur nachhaltigen Bindungsfrage überleitet und durch Verwechslung von Eros und Liebe zu einer suboptimalen Entscheidung führen kann, mit den oben benannten Folgen. Allerdings eignet sich der Satz auch zur Umschreibung aller andern gefühlsgesteuerten Fehlleistungen, die bekanntlich im Leben eines jeden Menschen auf breiter Basis nachhallen. Der Wahn ist kurz ...

7. Juli 2016