Der Sprung in die Weltverhältnisse - Teil II
Hartmut Rosa hat 2018 mit seinem Buch "Resonanz: Ein Soziologie der Weltbeziehung" einen kleinen Hit gelandet, insofern man bei soziologischen und/oder akademischen Büchern von so etwas wie Populartät wirklich sprechen kann. Zumindest wurde es weit über den engeren Fachdiskurs hinaus rezipiert und diskutiert, obwohl die "Elemente" von Rosas Resonanztheorie keineswegs neu anmuten. Gleichwohl ist der Begriff "Resonanz" als Dreh- und Angelpunkt dieser Theorie gut und griffig gewählt und führt relativ schnell ins Zentrum der Auseinandersetzung. Dies ist auch insofern spürbar, als dass dieser Begriff als Absetz- und Antwortfolie auf die derzeitigen Krisen ins Spiel gebracht wird. Denn es handelt sich weniger um eine verobjektivierende und überzeitliche Soziologie-Studie, sondern um eine Arbeit, die sich explizit mit dem Schauplatz unserer derzeitigen Krisenerfahrungen auseinandersetzt. In einem kürzlich erschienenen ZEIT-Artikel von Rosa spricht er von einer kulturübergreifenden Ratlosigkeit: "Die Überzeugung, dass es nicht mehr lange gut gehen wird, teilen Soziologinnen mit Ökologen, Bankern, Journalistinnen, Bürgerinnen und Bürgern aller Couleur." (Hartmut Rosa: "Ohnmacht. Was muss sich ändern?", Die ZEIT, 11. Juli 2019, Nr. 29)
Das andere Moment der Rosaschen Theorie-Attraktivität mag darin begründet sein, dass die zweifelsohne tiefgreifende (und allenthalben spürbare) Krisenerfahrung ihn weder zu einem resignativen Zynismus, zu einem apokalyptischen Alarmismus oder zu einem moralischen Rigorismus führt, sondern mit Hilfe der Resonanz zu einem Ausblick auf ein besseres Leben, zu besseren Daseinsformen und dies jenseits der gängigen Fortschrittsversprechen.
Rosa verlässt mit seiner Theorie ein Stück weit die gängigen Begründungs- und Sicherungsdiskurse, um auf dem offeneren Feld der Resonanz nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Andererseits verortet er sich und seine Theorie durchaus in der Tradition der kritischen Theorie, was dazu führt, dass er und seine Theorie als links einzusortieren sind. Vielleicht ist dies der Preis dafür, dass in den theoretischen (Soziologie-, Politik- und Philosophie-) Diskurswelten der Bundesrepublik, die weiterhin von den Habermasianischen Diskurswächtern verwaltet werden, ein solches Denken wohlwollend wahrgenommen und toleriert wird. Lässt man diese mehr innertheoretischen "Politik-Aspekte“ mal außer acht, bricht sich Rosas Theorie jedoch an jenen Stellen, in denen er die Öffnungsmomente wiederum an "kritische" Sicherungs- und Begründungszusammenhänge ankoppeln möchte, was sich weiterhin auch daran zeigt, dass er umgekehrt für seine Theorie wichtige und fruchtbare denkerische Referenzfelder nur marginal miteinbezieht. Im folgenden soll es also in gebotener Kürze einerseits um die Stärken der "Resonanztheorie" gehen und andererseits um jene Momente, in denen sie hinter ihren eigenen Ansprüchen und Möglichkeiten zurückbleibt und jene Entwicklung fortschreibt, die sie doch in Frage stellen möchte.
Wenn Rosa davon spricht, dass Weltverhältnisse fast überall im menschlichen Leben vorzufinden sind (Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung; Berlin 2019 (2016), S. 281), könnte man dies auch wie folgt übersetzen: fast alles ist symbolisch vermittelt. Selbst das in Beziehung treten von Subjekt und Welt, und darüber hinaus auch das in Beziehung treten von Körper und Psyche, benötigt nicht nur einen Resonanzraum (einen symbolischen Raum), sondern ist ein „Effekt“ der Resonanz und des Resonanzraum, dergestalt dass Subjekt und Welt überhaupt erst dadurch Form und Gestalt annehmen können (ebd., S. 285). Oder wiederum anders formuliert: vor dem Subjekt und dem Objekt ist schon die Resonanz oder das Symbolische (ohne dass man daraus einen Ursprung machen könnte). Diese „Grundlegung“ ist insofern entscheidend, als dass nun eine Beziehungsdimension für unser Sein entscheidend ist und dies vor jedweder „inhaltlicher“ Ausgestaltung „unseres Selbst“ oder „unserer Welt“.
Schon an dieser Stelle taucht die Frage auf, ob dies nicht insofern trivial ist, als dass dann eben alles in „Beziehung“ steht, selbst wenn es sich um misslingende, zum Beispiel gewaltsame Momente handeln sollte. Doch Rosa verweist (zumindest implizit) darauf, dass die „Beziehung“ und unser „Weltverhältnis“ partiell von Resonanz durchwoben sein muss, um initialisiert und weiter getragen zu werden. Resonanz ist für ihn eine besondere, qualitativ ausgezeichnete Beziehungsausprägung, die sich „Vereinseitigungen“ entzieht, da sie weder rein passiv oder aktiv ist, sich sowohl berührend als auch berührt werdend zeigt, hörend und antwortend ist, die eigene Stimme offenbart ohne sich auf das Eigene reduzieren zu lassen. Insofern sind Resonanzverhältnisse geprägt durch ein rhythmisches Aufeinandereinschwingen (ebd., S. 55), wobei beide Seiten durch das Verhältnis nicht nur tangiert, sondern immer auch transformiert werden.
Anschaulich wird das Resonanzverhältnis gerade in Abgrenzung zu seinen „Deformationen“, so wenn Rosa davon spricht, dass das moderne Weltverhältnis geprägt ist durch umfassende Verfügungs- und Beherrschungsimpulse. Das Streben nach Emanzipation, Selbstbestimmung, (individueller) Autonomie und (kollektiver) Souveränität stürzt sich umfassend auf die uns begegnenden Seinsformen. Alles soll verfügbar gemacht, alles unter Kontrolle gebracht werden. Unsere Welt, die Selbst-, die Ding- und die Sozialverhältnisse sind davon tief betroffen, so Rosa weiter (ebd., S. 306). Ob dieser Kontroll-, Zurichtungs- und Steigerungslogik verstummt die Welt immer mehr. Obwohl und weil diese Gegenüberstellung sehr suggestiv wirkt, will Rosa die Resonanzerfahrung aber nicht als permanenten Zustand oder als endgültig erreichbares Ziell verstanden wissen. Zum einen ergibt sich dies aus der Prämisse, dass Resonanzerfahrung nicht im Kontrollbereich eines sich autonom entfaltenden Subjekts liegt und liegen kann. Jede Resonanzerfahrung ist im eigentlichen Sinne immer auch eine Begegnung und damit der Verfügbarkeit und Kalkulation entzogen (ebd., S. 295, S. 319), was übrigens auch für ihre zeitliche Dauer gelten soll, ist die Erfahrung doch nur momenthaft „anwesend“ (ebd., S. 322).
Im Gegenteil wäre eine Welt und ein Weltverhältnis ohne Fremdes, Verstörendes und Störungen in seiner Verfügbarkeit geradezu totalitär, schreibt er (ebd., S. 59). Resonanz bedarf konstitutiv ihres Anderen. Für letzteres zitiert Rosa den Begriff der „Entfremdung“ herbei, nicht ohne eindrücklich darauf hinzuweisen, dass damit kein substantialistisches Konzept verbunden ist, das auf Kategorien wie Natur, Identität, Authentizität, Autonomie, Anerkennung oder Sinn rekurriert. Entfremdung, als das Andere der Resonanz, als spezifischer Modus der Weltbeziehung, als beziehungslose Beziehung, lässt die Welt in all ihren Ausprägungen für das Subjekt gleichgültig, ja feindlich werden (ebd., S. 305). Dennoch sollen sich Resonanz und Entfremdung in einem dialektischen, nicht oppositionellen Verhältnis befinden, so dass das „Nichtversöhnte und der Schmerz des Entfremdeten“ die Wurzel der Resonanz darstellt.
Dennoch bleibt der Begriff der Entfremdung trotz aller antisubstantiellen Distanznahmen von Rosa ein sehr problematischer. Wie soll ich mich von etwas entfremden, das in seiner unverfügbaren Möglichkeit nicht Teil von mir ist, auch wenn es mir zukommen kann? Dahinter versteckt sich die Frage, ob der Begriff der Entfremdung nicht doch eine Linie zieht, die der Resonanzerfahrung und den Resonanzräumen nicht entspricht. Natürlich wird es Situationen, Konstellationen und Strukturen geben, die der Resonanzerfahrung mehr oder minder zuträglich sind. Aber es ist die ereignishafte und zuweilen unwahrscheinliche Möglichkeit der Resonanzerfahrung selbst, die hier zählt, weil diese Erfahrung Transformationen einleiten kann, weil sie ein anderes Leben eröffnen kann, müsste man Rosa an dieser Stelle entgegenhalten. Es gibt dazu nicht noch eine vorgelagerte Struktur, an der objektiv bemessen werden kann, wann und wie wir zu einer Resonanzerfahrung fähig sind. Die Resonanzerfahrung trägt die Welt, auch wenn sie nicht immer aktualisiert wird; sie ist der unverfügbare Grund der Welt, könnte man etwas pathetisch hinzufügen. Ich insistiere an dieser Stelle deshalb, weil Rosa meines Erachtens seine Theorie von seinen Ausgangsprämissen auf metaphysisches, da scheinbar sicheres Gelände zurückbaut.
Entfremdung markiert – wie auch immer – den Punkt, der sagt, dass ich nicht das lebe, was ich eigentlich bin. Ganz anders verhält es sich jedoch mit dem antimetaphysischen Begriff der Freiheit - im Sinne von Hannah Arendt - der besagt, dass ich etwas werden kann, was ich (noch) nicht bin (Mit Arendt müsste man auch sagen: dass wir etwas werden können, war wir nicht sind). Es kommt nicht von ungefähr, dass im Register des Resonanz-Buches über 50 Einträge zum Begriff Entfremdung zu finden sind, aber kein einziger zum Begriff der Freiheit.
Aber wie macht sich das Fehlen eines genuinen Freiheitsbegriffs in der Resonanztheorie überhaupt bemerkbar?
31. August 2019