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Erhaben genug

“Mann kann das Erhabene so beschreiben: es ist ein Gegenstand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüth bestimmt, sich die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken.”
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft; Köln 1995 (1790); S. 139

Kritik ist immer auch eine Untersuchung dessen, was fehlt (und konstruktive Kritik demnach eine, die alles wieder Ganz macht). Problem: die Kritik ist eine Herangehensweise, die das Fehlen sowohl voraussetzt als auch “produziert”. Beispiel: die kantsche Erhabenheit (s.o.).
Für Kant ensteht diese u.a. beim Anblick himmelansteigender Gebirgsmassen, tiefer Schlünde usf. Was passiert also beim Natur-Schauen: wir Menschenkinder stehen überwältigt vor einer rätselhaften Natur. Zugleich sind wir unfähig, den Sinn und Zweck dieser Naturerfahrung aus der Natur selbst herauszulesen: also eine Art von natur-ästhetisch induzierter Ratlosigkeit. Wir bilden uns den Schein ein und fühlen ein Mangel an Sein. Folgerichtig spricht Kant auch davon, dass das Wohlgefallen an der Erhabenheit negativer Art ist: die Einbildungskraft fühlt, dass das sinnliche Sein zu transzendieren, zu denken ist, findet aber kein Mittel dies zu bewerkstelligen. Das Subjekt muss auf die Vernunftebene wechseln und sich mit jenen Ideen eindecken, die die höhere Zweckmäßigkeiten des Naturschauspiels denkbar werden lassen (sich aber nicht empirisch zu realisieren vermögen; wie auch): nun erst wird die Natur erhaben.

Kurzum: Wir können den Sinn der Natur nicht aus der Natur empirisch herauslesen. Umgekehrt können unsere Vernunftideen den Zweck der Natur dieser auch nicht vorschreiben. Ausgehend von dieser Lücke - das Sinnliche bleibt defizitär, die Öffnung ein Mangel, die Differenz ein Mißstand - reagiert das kritische Subjekt mit der Projektionen eigener Ideen - das kann man dann erhaben nennen.

12. April 2015