Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt – am Ende.
Wenn etwas über Jahrzehnte im Gedächtnis bleibt, kann man es wohl als nachhaltig bezeichnen. So diese vielzitierten Sätze von Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ ("Everything is going to be fine in the end. If it's not fine, it's not the end.") Es ist die ausgebaute Variante der Sentenz „Ende gut, alles gut“, wobei dieses „Egag“ vordergründig davon ausgeht, ganz zukunftsoptimistisch, dass allein schon die Finalität, also die Abgeschlossenheit einer Handlung, eines Projekts, eines Vorhabens usw. für die Erfreulichkeit des Ausgangs bürgt. Doch das „Ende gut, alles gut“ wird meist in einem etwas anderen Zusammenhang gebraucht, nämlich um zu betonen, dass der Weg zum guten Ende keineswegs ein leichter war, oder um daran zu erinnern, dass zwischendurch Nichts, oder nicht viel nach einem guten Ende ausgesehen hat. In der englischen Version wird dieser Bedeutungsstrang offensichtlicher, da es dort heißt: „All's Well That Ends Well“. Ganz dialektisch gesehen sind alle Verwicklungen, Probleme, Unmöglichkeiten, Fraglich- und Mutlosigkeiten, Depressionen und Versagensängste usw. letztendlich nur notwendige und daher im Nachhinein zu akzeptierende, zu bejahende Schritte auf dem Weg zum guten Ende. „Egag“ ist so gesehen die retrospektive Antwort auf das aufmunternde: „Wird schon gut gehen“ (Kölsche Version: „Et hätt noch immer jot jejange“).
Willkommen im richtigen Leben. Denn: die meisten Dinge, Vorhaben und Projekte laufen nicht glatt, sondern werden von allerhand Misslichkeiten begleitet und können Scheitern, was sie auch manchmal tun. Oscar Wilde hat die Möglichkeit eines guten Endes, das, wie wir oben gesehen haben, zumindest gleichwertig von der Möglichkeit eines traurigen Scheiterns begleitet wird, auf eine moderne Art und Weise fortgeschrieben. Das Scheitern sei demnach nur eine Form des falschen Timings, der fehlende Glaube an die Erlösungsfähigkeit allen Geschehens: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Oscar Wilde hat in diesen Sätzen zwei Züge der Moderne perfekt zur Geltung gebracht und auf eigentümliche Weise kombiniert. 1. Absoluter Fortschrittsoptimismus - der Hegelsche Weltgeist kommt sogar ohne das Jüngste Gericht aus; dafür aber mit Dialektik und Verzeitlichung (Prozeß) 2. Die Ironisierung der Zustände – wir wissen um die Fatalitäten des Lebens und um die Fragilitäten aller Gewissheiten. Der unausgesprochene dritte Wildesche Satz müsste lauten: „Vielleicht erlebst Du es sogar, das gute oder Dein gutes Ende.“
Nun ist das mit dem guten Ende für die Welt als Ganze eine sehr schwierige Sache. Nachdem die Fans eines ungebrochenen Fortschrittsglaubens in den letzten Jahrzehnten an Zahl und in mit Bezug auf ihre Überzeugungsfestigkeit eher abgenommen haben dürften, tendiert der gemeine Wohlstandsbürger jedoch umgekehrt zu einer zu pessimistischen Weltsicht, könnte man meinen, so man Hans Rosling folgt. Dieser hat anhand umfangreicher Statistiken nachgewiesen, dass die Umstände (Lebenserwartung, Lebensniveau, medizinische Versorgung, Ausbildung) in vielen Bereichen sich durch die Jahre weit besser entwickelt haben, als wir annehmen (Siehe: Hans Rosling/ Anna Rosling Rönnl/ Ola Rosling: „Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“ Ullstein, Berlin 2018).
Allein beim Thema Ökologie, Ressourcenverbrauch und nachhaltige Lebensweisen sehen die Daten nicht ganz so rosig aus (siehe auch den von Rosling genutzten Datenpool: https://www.gapminder.org/data/), weshalb Rosling diese Themen eher defensiv diskutiert. Zum ansteckenden Optimismus gibt es wenig Anlass. Schaut man sich zum Beispiel den Earth Overshoot Day für 2020 an, also den Tag im Jahr, an dem die versammelte Menschheit ihr Ressourcen-Budget aufgebraucht hat, so fällt dieser auf den 22. August (sprich: am 22. August hat die Menschheit die von der Erde erneuerbaren Ressourcen aufgebraucht). Noch 1987 fiel der Earth Overshoot Day auf den 19. Dezember. Für Deutschland wurde dieses Jahr, vorbehaltlich der „Corona-Effekte“, der 3.Mai errechnet (d.h. wenn alle Menschen so wie die Deutschen leben und wirtschaften würden). Hinzu kommt: CO2 Ausstoß und der damit prognostizierte Klimawandel, Mikrosplastik in den Meeren, Artensterben und, und, und …
Aber auch hier leistet die Zitat-Waffe wertvolle Dienste, wenn es bei Hölderlin heißt:
"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Die jungen Menschen haben das Rettende erstmal auf den Freitag ge- und verlegt, während der Rest sich mit weniger sichtbaren Zeichen um bessere Zustände bemüht (An dieser Stelle müsste man mit und gegen Hölderlins „Ein Zeichen sind wir, deutungslos“ sagen, dass die Zeichen schon gesehen und gedeutet werden wollen und sollen):
- Wir kaufen umweltfreundlich verpackte Waren
- Wir verzichten beim Einkauf auf Plastiktüten
- Wir stellen Rekorde im Schnellduschen auf
- Wir wechseln zu einem Ökostromanbieter
- Wir nutzen vermehrt Glas- statt Plastikgefäße
- Wir trinken Leitungswasser
- Wir versorgen uns mit Lebensmitteln aus der Region
- Wir fahren vermehrt mit dem Fahrrad
- Wir trennen den Müll
Wir spenden für die grüne Welt Inzwischen kann man auch diverse Bücher kaufen, in denen diverse Listen für ein nachhaltiges Leben zusammengestellt sind (Wäre das nicht noch ein Weihnachtsgeschenk?). Zuweilen sind es jedoch die gleichen engagierten Ich-tue-etwas-für-die-Umwelt-Menschen, die sich zwei Tonnen schwere Autos kaufen, die Flugreisen nach Südafrika, Australien und Südamerika gemacht oder geplant haben, die sehr viel Wert auf ein gepflegtes Einfamilienhaus mit entsprechender Wohnfläche legen und, und, und …
Aber wer möchte ernsthaft über die Doppelmoral des gemeinen Lebens sprechen und hier zur Anklage übergehen? Das hieße Kapital aus einer billigen Ausgangslage schöpfen. Schon ahnt der Leser, dass der sensible Autor auf die eigenen Widersprüche überleiten möchte, mit denen wir uns doch alle mehr oder minder in vielfältigen Lebenskonstellationen herumplagen müssen (also nicht nur in Bezug auf die Nachhaltigkeit): die kleinen Alltagslügen, die faulen und bequemen Kompromisse, die regressionsgesättigten Unterhaltungsparadiese usw. Lieb hat sich, wer seine Schwächen akzeptiert; Idiot ist, wer sich darin wohl fühlt usw. Psychologische Leitplanken für das gelingende Leben gibt es reichlich, auch in Buchform (Wäre das nicht noch ein Weihnachtsgeschenk? Part II).
Aber nein, hier wird nicht wie vorgesehen abgebogen. Der Twist, um uns auf der Höhe der Zeit zu halten, ist hier ein anderer. Um mit den mehr „konservativen“ Lebensweisheiten zu beginnen. Das Leben ist nicht immer gerecht. Und: Schmerz und Leid sind Teil des Lebens. Dem Konservatismus wird zuweilen vorgeworfen, Dinge zu naturalisieren und damit zu verstetigen, die in unserer Hand liegen und damit auch zu ändern sind. Das mag zum Teil richtig sein - wobei schon die „Handlungsidee“ ein „schwieriges“ Thema ist und in den seltensten Fällen annähernd ausreichend bedacht wird -, lenkt aber davon ab, dass die Akzeptanz bestimmter Lebensunumgänglichkeiten zu einer besseren Wirklichkeitswahrnehmung führt (und auch hier: die Antwort darauf, was Wirklichkeitswahrnehmung „ist“, ist keinesfalls trivial). Das fängt damit an, dass die Erde, trotz aller Dinge, die wir ihr zumuten, auch weiterhin in irgendeiner Form existieren wird. Die Folgen unserer jetzigen westlichen Lebensweise mögen für Flora und Fauna (und auch für uns selbst) gravierende sein, die Erde „stört“ das wenig. Die Erde ist ein physikalisch robustes Ding. Die Erde wird erst dann untergehen, wenn die Sonne sich zu einer Supernova aufbläht.
Kein Grund also im Namen einer leidenden Erde permanent unser moralisches Gewissen nachzuschärfen. Auch nimmt sich der erhobene ökologische Zeigefinger mitunter als Kompensationsleistung für das eigene misslingende Leben aus, s.o. Denn wie soll man individuell auch etwas geradebiegen, was auf einer grundlegenderen Ebene sehr sattelfest kodiert ist. Zwar mag oberflächlich gesehen unsere Gesellschaft auf große Flexibilität ausgerichtet sein, jedoch wird weder wirtschaftlich noch kulturell die Variable Wachstum ernsthaft in Frage gestellt. Von Verzicht ist weiterhin kaum die Rede. Das ausgerechnet der technische Fortschritt nicht nur für Ressourceneffizienz, sondern auch für großflächige Ressourcen-Einsparungen sorgen soll, wo er doch seit Jahrzehnten den Ressourcenverzehr zuverlässig ankurbelt, ist daher mehr Hoffnung denn begründetes Wissen.*
Und so werden wir – Europa, der Westen - vielleicht in einer nicht mehr allzu fernen Zukunft feststellen müssen, dass unsere Lebensweise nicht nur für inakzeptable Produktions- und Reproduktionsbedingungen an anderen Erdenrändern verantwortlich ist, worauf wir uns in einem Akt der moralischen Großzügigkeit zum Beispiel um einen besseren Konsum und ein besseres Lieferantenmonitoring bemüht haben, sondern, dass diese Länder Ressourcen für sich beanspruchen, von denen wir glaubten, dass sie primär uns zustehen. Jenseits von Zynismus wird man vermuten können, dass der Megatrend der Nachhaltigkeit dann abgelöst wird von einer knappheitsbedingten Verteilungsfrage, bei der die moralische Komponente – bitte uns auch etwas abgeben – nur noch eine Randnotiz sein wird. Wer weiß schon was eine ungewisse Zukunft bringt; der prophetische Ton bleibt so, was er schon immer war: eine Art billige Beruhigung oder auch: eine billige Verheißung. Aber um am Ende auf das Ende zu kommen, könnte man in Abwandlung eines Wolfgang Herrndorf-Satzes sagen: „Alles wird am Ende gut, nur nicht überall, nur nicht immer, nur nicht für alle.“**
Diesen Gedanken auch in Nachhaltigkeitsfragen in Erwägung zu ziehen, hieße sich auf einen anderen Ausgang vorzubereiten und nicht auf ein universell gutes oder schlechtes Ende.
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* Wenn man sich die Ressourcenfrage am Beispiel "Auto" vor Augen führt, werden die Dimensionen sichtbar. Zur Zeit gibt es auf der Welt über 1,3 Milliarden Autos (u.a. https://www.live-counter.com/autos/). 1970 betrug die Zahl noch ca. 250 Millionen, 1980 410 Millionen, 1990 580 Millionen, 2000 753 Millionen, 2010 1 Milliarde (https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftszahlen_zum_Automobil). Dabei werden zur Zeit jährlich ca. 70 Millionen neue Autos weltweit gebaut ( 2017 73 Millionen / 2018: 70 Millionen / 2019: 67 Millionen. Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/159780/umfrage/weltweit-jaehrlich-hergestellte-pkw/). Davon wurden in Deutschland 2019 von deutschen Herstellern ca. 4,7 Millionen im Inland produziert (https://www.vda.de/de/services/zahlen-und-daten/jahreszahlen/automobilproduktion.html). Zur wichtigen Frage, wieviel Ressourcen die Herstellung eines Autos wirklich benötigt, ist die Datenlage natürlich begrenzter, da es sich zum einen um ein komplexes Thema handelt, bei dem es nicht reicht, Stück- oder Zulassungszahlen zusammenzutragen. Zum anderen veröffentlicht die Automobilindustrie zwar Zahlen, die ihre steigende Ressourceneffizienz belegen, geben aber kaum an, wieviel Ressourcen absolut gesehen auf die Produktion eines konkreten Automodells entfallen.
Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH hat 2007 im Rahmen einer Förderprojekts, das u.a. von Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde, diese Frage untersucht. Die Kenngröße ist dabei die TMR (Total Material Requirement), in der versuchsweise alle Stoff- und Energieströme miteinbezogen worden sind (die Studie ist verfügbar unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/2702/file/2702_Automobilsektor.pdf). Ergebnis: Allein für die Produktion werden zwischen 18.000 kg TMR (Kleinwagen) bis 43.000 kg TMR (Oberklassewagen) verbraucht. Rechnet man die anschließende Nutzung mit einer Laufleistung von 150.000 km mit ein (inklusive Benzin-, Diesel- und Ölverbrauch), dann kommt man auf ein Gesamt-TMR (Herstellung und Nutzung) zwischen 31.000 kg bis 62.000 Kg. Auch wenn man die Richtigkeit dieser Zahlen nicht umfänglich belegen kann, auch wenn man in Anschlag bringt, dass es eine politische Stoßrichtung der Studie gab (Ressourcenschonung) und auch wenn man schließlich zugesteht, dass die Hersteller sehr viel effizienter mit den Ressourcen umgehen (jedoch: zwischen 1980 und 2010 wurden die Fahrzeuge um 30 bis 50 % schwerer, was den Ressourceneinsparungseffekt aufbrauchen dürfte: siehe: https://vcoe.at/service/fragen-und-antworten/wie-viele-ressourcen-werden-bei-der-pkw-produktion-verbraucht Dort wird davon ausgegangen, dass ein 1,5 Tonnen-Auto im Schnitt 70 Tonnen an Ressourcen verbraucht) grenzt diese Art der Individual-Mobilisierung an Wahnsinn.
Natürlich kann man darauf hoffen, dass es mit technischen Lösungen gelingt (E-Mobilität, umfassende Kreislaufwirtschaft, neue Materialien), das (automobile) Ressourcen- und Nachhaltigkeitsproblem zu lösen. So heißt es auf der Webseite der Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit halbwegs optimistisch: " Studien zeigen: Auch bei einem schnellen weltweiten Zuwachs an Elektrofahrzeugen und anderen Elektrogeräten übersteigen die weltweiten Vorkommen an den für die Elektromobilität wichtigen Rohstoffen, also etwa Lithium, Kobalt oder Gallium, den prognostizierten Bedarf deutlich." (https://www.bmu.de/themen/luft-laerm-verkehr/verkehr/elektromobilitaet/ressourcenbilanz/). Andererseits sieht die Ressourcenverfügbarkeit anderer wichtiger Rohstoffe nicht ganz so gut aus. Die statistische Reichweite von Erdgas: 51 Jahre, Erdöl 54 Jahr, Kupfer: 43 Jahre, Chrom: 13 Jahre, Uran: 26 Jahre, laut Wikipepdia (Werte ausgehend von 2018 - https://de.wikipedia.org/wiki/Reichweite_(Rohstoff)). In einem Artikel der Welt aus dem Jahre 2017 heißt es: "Demnach hat sich der Bedarf der Menschheit an Energierohstoffen, an Baustoffen und Metallen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts verzehnfacht auf nun etwa 85 Milliarden Tonnen pro Jahr. Allein in den vergangenen 30 Jahren hat sich der Bedarf an natürlichen Stoffen wie Kohle, Kupfer oder Holz damit verdoppelt." Und weiter "Laut UN-Prognose dürfte sich der Ressourcenverbrauch deshalb bis 2030 noch einmal mehr als verdoppeln auf dann 186 Milliarden Tonnen." (https://www.welt.de/wirtschaft/article162921498/Unserer-Welt-gehen-die-Rohstoffe-aus.html).
Wie in der Vergangenheit schon geschehen, wird man neue Rohstoffquellen entdecken und mit Hilfe neuer Techniken auch heben können; es werden Alternativmaterialien gefunden werden; die technischen Möglichkeiten des Recyclings werden zunehmen. Kurzum: im Prinzip handelt es sich nicht um unlösbare Probleme; kein Fatalismus, dem das Wort geredet werden muss. Jedoch ist zu bezweifeln, dass man global gesehen ohne Verzichtsleistungen der industriellen und post-industriellen Nationen, von denen zurzeit wenig zu sehen ist, diese Ausrichtung wird flächendeckend umsetzen können. Bis dahin begnügen wir uns damit, die Papiertüte zu greifen, um die Weihnachtsgeschenke nach Hause zu tragen.
** Im Original: „Alles ist gut, nur nicht überall, nur nicht immer, nur nicht für alle.“ Wolfgang Herrndorf: Sand; Berlin 2011, S. 118
30. November 2020