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Intermezzo 2: Nichts geschieht außer zum zweiten Mal

Die Zwei, also die Zahl "2" hat nicht den besten Leumund. Denn die Zwei steckt wohl nicht zufällig in der Entzweiung, ist mit Zweifel, Zwist und Zwietracht verbunden. Metaphysisch gesehen ist die 2 der Abfall vom Einen, der Widerspruch zur göttlichen Einheit. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die 2 in der Magie, in der Kunst des großen Geheimnisses, das die Welt verborgen durchwebt, kaum vorkommt. Und auch bei der Schöpfungsgeschichte passiert Erstaunliches (zitiert nach der Lutherbibel; 1. Mose 1,1 - 2,3)

1. Schöpfungstag 
- Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde (...) Und Gott sah, dass das Licht gut war.

3. Schöpfungstag 
- Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.

4. Schöpfungstag 
- (...) und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war.

5. Schöpfungstag 
- Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art (...) Und Gott sah, dass es gut war. 

6. Schöpfungstag 
- Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde (...) Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

7. Schöpfungstag 
- Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. 

Kurz zusammengefasst. Gott sah, dass es gut war, dass es gut war, dass es gut, war, dass es sehr gut war und schließlich segnete er den siebten Tag. Alles prima, allein der zweite Tag endet mit folgender Beschreibung

2. Schöpfungstag - (...) Und Gott nannte die Feste (Wölbung) Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.

Nix mit gut oder sehr gut oder sonstigen Segnungen. Der zweite Tag steht somit ein bißchen verwaist in der Schöpfungsgeschichte. Aber neben diesen eher traurig-negativen Konnotationen hat die 2 sehr wohl auch produktive Momente zu bieten. In den gnostischen Systemen verkörpert sich die Zweiheit der Welt zwar ziemlich restriktiv in Gut (das Geistige) und Böse (das Materielle); aber schon hier deutet sich eine Spannung an, die in den propehetischen Religionen durchaus einen positiven Wert erhält. (dazu: Franz Carl Endres; Annemarie Schimmel: Das Mysterium der Zahl; München 1993(1984))

Nicht zuletzt verweist der Trintitätsgedanke schon von Anfang an darauf, dass mit der Zweiheit, mit dem Heraustreten aus dem Einen, auch der Gedanke der Synthese, der Vermittlung und der Aufhebung einhergehen kann. Das ist natürlich auf Hegel zu oder von Hegel rückwirkend formuliert, wobei Hegel der Zwei, wenn man sie denn mit dem Begriff der Wiederholung amalgiert, folgenden Gedanken anhängt:

"Durch die Wiederholung wird das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten.“
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über Philosophie der Geschichte, Frankfurt a.M. 1973 (Werke 12), S. 380

Mit diesem Satz im Gepäck könnte man auch sagen, dass die Wiederholung, die zeugende Wiederholung wichtiger als das Ereignis ist, das Ereignis in gewisser Weise durch seine wiederholende Bezeugung (man holt etwas wieder), überhaupt erst erschaffen wird. 

Andererseits kann man den Gedanken auch nochmals vertiefend wiederholen, der oder was besagt: je öfter sich etwas wiederholt, umso stabiler und unumstößlicher wird es in unserer Welt verankert werden. Wenn die Sonne den zweiten Tag aufgeht, mag das mehr als ein Zufall sein. Sieht man sie ein Leben lang am Himmel immer wieder am Horizont erscheinen, wird es zu einer unumstößlichen Wirklichkeit. Diese wiederholungstheoretische Prämisse hat auch eine politische Dimension. So haben Ernesto Laclau und Chantal Mouffe gezeigt, dass der Gramscianische Hegemoniebegriff auf die Durchsetzungs- und Beharrungsstärke einmal etablierter Begriffe und Diskurse setzt, die nicht nur durch jeden Gebrauch mit neuer Strahlkraft angereichert werden, sondern zugleich auch den Möglichkeitsraum verengen, also bestimmte Dinge undenkbar machen oder sanktionieren (dazu: Ernesto Laclau; Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie: zur Dekonstruktion des Marxismus; Wien 1991 (1985))

An dieser Stelle sehen wir eine doppelte Funktionslogik der Wiederholung, die jedoch nicht auf eine binäre Logik heruntergrochen werden kann. Zum einen lässt die Wiederholung das Ereignis erscheinen und Wirklichkeit werden, insofern es das Ereignis bezeugt, es in einen Bedeutungsraum hineinträgt, der durch das Ereignis verändert wird, aber doch nur verständlich bleibt, sofern er Verbindungen und Spuren zu schon bestehenden Bedeutungskontexten unterhält. Ein vollkommener Bruch wäre nicht wahrnehmbar (wir alle ahnen oder kennen vielleicht einige Ränder - aber eben nur die Ränder - solcher "Ereignis-Brüche", wie zum Beispiel eine schwere Verletzung, die die Integrität des Körpers in Frage stellt und traumatisch wirken kann. Und niemand, der nicht selbst erkrankt ist, kann ermessen, was es bedeutet, wenn eine schwere, vielleicht unheilbare Krankheit diagnostiziert wird. Dies berührt unsere Identität auf unabsehbarer Weise. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Frage, ob der Tod nicht das Paradebeispiel eines solch radikalen Bruchs ist und/oder ob der Glaube diese Bruchlinie verschieben kann). Oder anders gesagt: ein Ereignis ist immer ein nachträgliches, denn es gibt die Präsenz des Ereignisses als unvermitteltes Ereignis nicht. 

Auf der anderen Seite ist aber ebenso klar, dass es keine perfekte Wiederholung gibt und geben kann. Wenn die Wiederholung im Namen der Beharrung und der Stabilität agiert, so kann sie dieses Versprechen, wenn es denn ein Versprechen ist, nur damit geben, dass sie den wiederholten Ausschluss - den Ausschluss anderer Möglichkeiten, anderer Anknüpfungspunkte, anderer Bedeutungen - verdrängt. Eine absolut reine Wiederholung wäre als solche nicht erfahrbar, wäre zeitlos, sozusagen tote Zeit, die Tötung der Zeit, ein Aussetzen, ein nunc stans (auch hier könnte man fragen, ob die Wissenschaft nicht deshalb so erfolgreich ist, weil sie den Spezialfall einer "fast" reinen Wiederholung kultiviert, die auf Kosten der Bedeutung eine Reproduzierbarkeit und Universalität beansprucht).

Wenn es kein reines Ereignis und keine reine Wiederholung gibt, so bilden diese beiden Punkte den unerreichbaren Horizont jeder Wiederholung, ihre absolute Verheißung und ihren absoluten Tod. Die Wiederholung ist ein fortwährender Pendelschlag, der sich mal mehr zu der einen, dann wieder zu der anderen Seite neigt, niemals mit sich selbst identisch, niemals ganz anders. Selbst im in dem ganz neuen Anfang, in dem sich das ganz Andere ereignet, findet eine symbolische Wiederholung statt, die eine Anknüpfung an das schon Gewesene und immer schon Geteilte verlangt. Und selbst in der stumpfsinnigsten Wiederholung, in der scheinbar alles beim Alten bleibt, sorgt ein neuer Kontext dafür, dass andere Möglichkeiten sich zeigen, dass andere Möglichkeiten verdrängt oder unterdrückt werden müssen, auch wenn dies nur auf einer subkutanen Ebene geschehen mag.

Kurzum, keine Wiederholung ohne Verschiebung: selbst in der geringfügigsten Wiederholung kann sich etwas Großes ereignen, sind neue Verbindungen zu finden, können sich tektonische Verschiebungen anbahnen; und selbst – oder gerade - die beste Tradition ist kein starres Verharren, sondern ein fortgesetzter An- und Umbau.

Um auf den Anfang zurückzukommen, auf die 2 und ihre Verbindung zur Wiederholung: Gerade weil die 2 keine Ursprungszahl ist, also nicht die Verheißung des vergangenen oder zukünftigen Einen verkörpert und ebenso wenig eine Versöhnungszahl ist, die eine schnelle Synthese verspricht, ist sie als Zahl des Konflikts und der sich verschiebenden Wiederholung doch eine, mit der sich etwas ereignet und fortschreibt.

30. November 2019