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Rechtsdrehend ohne Religion – Teil 1

Alpha

Politisch Rechts hat scheinbar nichts mehr mit der Bewahrung der Schöpfung, mit Fortschrittsskepsis, mit Leistungsgerechtigkeit, mit der politischen Nation oder mit Demut zu tun, sondern bedeutet heute: völkisch, fremdenfeindlich, autoritär oder rechtsextrem zu sein. Wie anders ist es zu erklären, dass Aktivitäten wie 'Laufen gegen Rechts', 'Omas gegen Rechts' oder 'Demos gegen Rechts' eine selbstverständliche und begrüßenswerte Sache sind, weil man schließlich gegen das Böse anläuft und ankämpft.

Für alle, die sich beim betreuten Denken unwohl fühlen – und um nicht missverstanden zu werden: die umfangreichste Betreuung beim Fortlauf von eingefahrenen Denkweisen leistet das eigene ICH -, ist die Beleuchtung von Sachverhalten aus verschiedenen Blickwinkeln, also die Pluralität der Informationen und Meinungen, hilfreich. Die Zeitschrift TUMULT, die sich selbst im Untertitel „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“ nennt und die man dem rechten Spektrum zurechnen kann, so man solche Etiketten braucht, leistet diesbezüglich ihren Beitrag.

So schreibt Egon Flaig eine Meditation über den ukrainischen Unabhängigkeitskampf, der mit „Zur sinnstiftenden Kraft eines Krieges“ betitelt ist (TUMULT, Frühjahr 2025, S. 9-19). Schon leuchten die humanistischen Alarmglocken. Welcher Sinn soll sich im Krieg und in der Gewalt offenbaren? Die großen modernen Zivilisationsanstrengungen, manche würden sagen: Errungenschaften, laufen doch darauf hinaus, den Tod zu ‚mildern‘, gar zu besiegen (schwierig) oder ihn zu verdrängen (geht gerade so). Jetzt ist er also wieder (selbst in Europa) da und soll auch noch Sinn stiften. Nun wurde der Ukraine der Krieg aufgezwungen, worin Flaig insofern auch eine Chance sieht, als dass er von einem ‚gründenden Krieg‘ spricht und darüber, dass die Ukrainer für diese Gründung einstehen und bereit sind, das Äußerste einzusetzen, sich zu opfern, und dabei auf Partialinteressen weitestgehend zu verzichten. Nach Flaig gibt es jedoch das Problem, dass ein Großteil der Wehrfähigen entweder nicht eingesetzt wurden (erst im April 2024, so Flaig, wurde das Rekrutierungsalter auf 25 Jahre herabgesetzt) oder sich den Kampf durch Ausreise entzogen haben, was sowohl unter militärischen (Soldatenknappheit), als auch unter mentalen Gesichtspunkten (nämlich für die ‚Dagebliebenen‘ und für eine Nachkriegsordnung) eine Katastrophe ist (was Flaig hier mit ‚leichter Hand‘, wenn auch unter sachlichen Gesichtspunkten vielleicht richtig, skizziert, mag die Anmerkung erlauben, dass aus dem Rentenwohnzimmer sich über die Söhne anderer Mütter gut verfügen lässt). Zudem fügt er hinzu, dass die (zunehmende) ukrainische Diskriminierung der russischen Sprache und Kultur (so sollen u.a. Puschkin, Dostojewskij, Tolstoj und Bulgakow aus den Lehrplänen gestrichen werden), ja der Hass darauf, in die Unfähigkeit münden würde, Dissens auszutragen, womit ein Baustein der abendländischen Kultur verraten würde. Ganz anders sieht Flaig nun das Verbot der russlandnahen orthodoxen Kirche (OUC, vom Patriachen Konstantinopels als autokephalse Kirche anerkannt), die 2024 von der ukrainischen Regierung verboten wurde. Mit Bezug auf Ernst-Wolfgang Böckenförde konstatiert er, dass die Religionsfreiheit dort endet, wo die Staatsexistenz auf dem Spiel steht. Während also die Kulturpluralität für Flaig zum Kernbestand des demokratischen Abendlandes gehört und auch im Krieg bewahrt werden sollte, muss sich die Religion im Zweifelsfall der Staatsraison unterordnen.

Der allseits bekannte Volkswirt und Ex-SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin erläutert in seinem Text „Schleichende Landnahme“ (TUMULT, Frühjahr 2025, S. 21-23), „Warum gegen das Vordringen von Islam und Islamismus in Deutschland und Europa kein Kraut mehr gewachsen ist“, so der Untertitel. Der Text schwankt in seiner Tonart zwischen Nüchternheit und Defätismus, ja Kapitulation. Am Ende heißt es, dass man als Minderheit im eigenen Lande kleinere Brötchen backen muss. Zuvor erläutert Sarrazin, dass er den Islam aus zwei Gründen abstoßend (1. Verachtung aller ‚Ungläubigen‘ 2. (sexuelle) Rolle der Frau) und aus einem weiteren Grund gefährlich findet (der Islam stünde der Legitimation demokratischer, säkulärer Gesellschaften eher ablehnend gegenüber). Als kleine Parenthese führt Sarrazin aus, warum in aufgeklärten Zeiten es überhaupt keinen Religionsbedarf mehr geben sollte: „Die Suche nach Gott und dem Weltsinn wurde in diesem Sinne abgelöst durch die Bemühungen der Physiker um die Erforschung des Urknalls und die Überführung der Naturgesetze in stets allgemeinere Formeln.“ (ebda. S. 22). Etwas paternalistisch heißt es weiter, dass die meisten Menschen das nicht verstehen würden, noch emotionale Befriedigung daraus ziehen könnten.

Einen Aufsatz weiter gibt Rudolf Brander seinen Text den Titel „Der Weg in die Auschwitz-Religion“ “ (TUMULT, Frühjahr 2025, S. 25-27). Seine Kernthese lautet: Auschwitz wird als Symbol einer theologisch aufgeladenen Schuldkultur genutzt, um in einer Intensivierung des Negativen die Erlösungsbedürftigkeit durch umfassende Ergriffenheit in eine absolute Unterscheidung von Gut und Böse zu kanalisieren. Was dabei auf der Strecke bleibt, so Brandner, ist die Thematisierung der geschichtlichen Realität (Stichwort: Spielräume des Verstehens). Resultat ist u.a. ein Schuldtransfer vom politischen Subjekt auf die Allgemeinheit („Tätervolk“), mit der Folge, so Brandner, dass alle Schuld von der Politik ans Volk delegiert werden würde. Für Brander handelt es sich um ein modernes Beispiel eines größeren Zusammenhangs, nämlich des unbewältigten religiösen Negativismus von Jahrtausenden: Das unerlöste moderne Subjekt, so Brandner, verwendet seine durch den Gottesverlust freigesetzten Psychoenergien, um sich in einem pseudosakralen Akt einem Heiligen (als Maßgebendes, als Unhinterfragbares) zu unterwerfen. 

Man wird den drei Text wohl keinen Zwang antun, wenn man sie religionskritisch nennt, auch wenn die Religion nicht, wie bei Flaig, Hauptthema sein mag. Für Flaig hat die politische Sphäre - und im Ausnahmezustand ist das vor allem der Staat und die Nation – Vorrang gegenüber der Religion, insbesondere dann, wenn die Sphärenteilung von Seiten der Religion in kritischen Phasen unterminiert wird. Mag die Religion, und sei es als kulturelle Praxis, von jeher ein politischer Faktor sein, so ‚darf‘ sie jedoch nicht den Platz der Macht für sich beanspruchen oder die politische Sphäre auflösen wollen oder an seiner Auflösung beteiligt sein, so das politische Argument. (Dabei gab es Christentum es seit jeher eine Thematisierung dieser Sphären-Spannung und -Trennung, heißt es beispielsweise im neuen Testament: "Da sprach Jesus zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" (Mark. 12, 17). Das politische Argument gilt für demokratisch verfasste Staaten, sofern in autokratischen Regimen von jeher keine Rücksicht auf kritische Positionen genommen wird, die das Zentrum der Macht in Frage stellen. Der Unterschied also: im ersten Fall geht es um die Infragestellung des politischen Raumes, im zweiten Fall um die des Machthabers.).

Thilo Sarrazin beschäftigt sich in seinem Text mit dem Islam, von dem die „Sphärentrennung“ allem Anschein nach nicht akzeptiert wird und der in Deutschland / Europa immer mehr Zuwachs findet. Für Sarrazin ist diese Religion gefährlich, weil in ihr die religiöse Legitimität Vorrang vor einer demokratisch legitimierten Verfasstheit hat. Insofern folgt er hier Flaig / Böckenförde. Wie das Sphärenverhältnis bei anderen Religionen sich darstellt, wird hingegen nicht weiter erläutert. Für Sarrazin ist dies auch nicht wichtig, weil moderne Gesellschaften säkularisierte Gesellschaften sind und für ihn Religionen einen Atavismus verkörpern, die Sinnfragen stellen und -antworten geben, die als naturwissenschaftlicher Sicht überholt seien.

Schließlich Rudolf Brander. Sein Text führt eine neue Religion schon im Titel: Auschwitz-Religion. Die Funktion dieser ‚Religion‘ liegt nach Brandner in einer Immunisierungs- und Haltgebungsstrategie (gegenüber den Maßlosigkeiten liberalistischer Gesellschaften). Der Vorwurf lautet, dass dies auf Kosten einer offenen geschichtlichen und politischen Auseinandersetzung über den Nationalsozialismus und dem industriellen Massenmord gehen würde. Darüber lässt sich streiten, wobei die ‚Zulässigkeit‘ des Streits selbst schon ein Teil der Auseinandersetzung sein dürfte (aber im Politischen gibt es keine Metaebene, aus der sich solche Fragen ‚wahrheitsgemäß‘ beantworten ließen, nur rechtlich/moralische Grenzen, die wiederum …). Aber Brandner gibt auch einige generelle Hinweise zu seinem Religionsverständnis. Religion, so Brander, hat immer eine Sakralisierungsfunktion, die etwas als heilig und unberührbar erklärt und vor dem sich alle menschliche Negativität zurücknehmen muss. Dieses Ansichhalten der Negativität / des Mangels, dieser Selbstverzicht wiederum entfaltet, so Brander weiter, die Heilswirkung als ein religiöses Versprechen. Damit nichts ins Rutschen kommt, strebt das religiöse Bewusstsein nach absoluter Fixierung, nach einem Dogma, das von Anderen nicht in Frage gestellt werden darf, führt Brander weiter aus. Dabei scheint es so, als ob Brandner einer „Negativitätsgeschichte“ nachgehen würde - die Negativität (der Mangel) als anthropologische Konstante -, die in der Moderne seine Zuspitzung fände und zwar wie folgt: Seit Jahrtausenden gibt es einen unbewältigten religiösen Negativismus, d.h. Fixierung von Psychoenergien und Blockierung anderer ‚Antworten‘ auf die Negativität. Diese Energien werden in der Moderne durch den Gottesverlust freigesetzt und finden u.a. Bindung in defizitären Ersatzreligionen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, ob die Totalitarismen ebenfalls als Ersatzreligionen im oben genannten Sinne fungiert haben (polemisch könnte man Fragen, ob die Auschwitz-Religion strukturell identisch mit der Hitler-Religion ist?). Die nächste Frage wäre, ob es denn eine richtige oder bessere (politische) Form gibt, mit der sich Negativität bearbeiten und ‚gestalten‘ ließe – aber das greift über den Text-Anlass hinaus.

Im Unterschied zu einem modernistisch geprägten Immanenzdenken tauchen in den Texten geschichtlich erfahrbare Momente der Teilung, der Gefährdung, des Antagonismus und der Negativität auf. Die Realität schaut uns ins Gesicht. Und je mutiger man zurückblickt, umso mehr wird deutlich, wie sehr jene gutgemeinten Diskurse, im Versuch eine negativitätsfreie Welt zu gestalten, sich immer weiter von dieser Welt entfernen.
Und die Religion?

30.März 2025