Schiffbruch
"Unsere Lage war jetzt völlig verzweifelt, denn wir alle sahen, dass die See zu hoch ging, als dass unser Boot standhalten konnte, und dass wir daher unfehlbar ertrinken müssten."
Daniel Defoe: Robinson Crusoe; Frankfurt/M. / Leipzig 1993 (1719); S. 62
Wer sich in Gefahr begibt, kann darin umkommen, wer auf See ist, kann scheitern. Bindet man See und Freiheit zusammen, ist ein emphatischer Freiheitsbegriff mithin keineswegs so harmlos, wie man es sich wünschen würde. Der freiheitlich existenzielle Schwung bei der Entscheidung, ob ich mir morgens Kaffee oder Tee, ein gesundes Musli oder doch das Morgenbrot mit Schokoladenaufstrich gönne, ist zum Glück ein begrenzter. Wie verhält es sich hingegen mit solchen Entscheidungen, die das Handlungsfeld unumkehrbar verändern und sich zudem als falsch herausstellen können? Vom Banküberfall, bei dem unvorhergesehener Weise ein Teil des Bankpersonals erschossen werden musste, bis hin zur herzzereißenden Trennung, die in einem letzten bösen Wort oder einer letzten innigen Umarmung sich vollendet, ließen sich Beispiele finden.
Allerdings wies schon Karl Marx knapp 150 Jahre nach Defoe darauf hin, Stichwort Robinsonade, dass der vereinzelte Einzelne keineswegs das Produkt einer existenziellen Ausgangslage, sondern eines unaufgeklärten Vergesellschaftungszusammenhangs ist. Wie wahr - so weiß der Bankräuber nicht, dass sein Tun sozusagen das Ausbeutungsverhältnis, sprich Aneignung des Mehrwerts durch den Beschäftigungsträger, nur gewaltsam auf eigene Rechnung wiederholt. Und wie sollten die Trennenden wissen …
Nein, auch wenn Freiheit immer eine bedingte bleibt, umringt und getragen von dem Beziehungsnetz unseres Seins, wir sind tatsächlich auf See und der Wind ist dort manchmal rau und heftig. Und so müssen wir freudig und traurig zugestehen, dass niemand uns vor einem möglichen Schiffbruch bewahren kann und dass wir niemanden, wirklich niemanden für unseren Schiffbruch die Schuld geben können. Menschen die das anders sehen, könnte man auch Sklaven nennen - und entgegen einem gängigen Klischee lebt es sich als solcher unter Umständen bequemer und geruhsamer. Deshalb heißt dieser bei Defoe auch Freitag und nicht Montag.
11. September 2014