Gute Vorsätze
“Greift frisch an, oder wir treiben auf den Strand.”
William Shakespeare: Der Sturm; Zürich 1979 (1611 ), S. 225
31. Dezember 2014
“Greift frisch an, oder wir treiben auf den Strand.”
William Shakespeare: Der Sturm; Zürich 1979 (1611 ), S. 225
31. Dezember 2014
"Der Boden wankte unter seinen Füßen, alle Wände des Gefängnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Straße zu einzustürzen, und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des gegenüberstehenden Gebäudes verhinderte, durch eine zufällige Wölbung, die gänzliche Zubodenstreckung desselben."
Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili; in: Sämtliche Erzählungen und Anekdoten; München 1978 (1807); S. 145 f.
Die erste Katastrophe in der Kleist-Erzählung, das Erdbeben, schenkt den Protagonisten, den beiden Liebenden, das Leben, nur um sie in der Endkatastrophe, die nach dem Erdbebeben in einer Kirche ihren Ausgang nimmt, von einem aufgebrachten Mob erschlagen zu lassen.
Nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 ist dies natürlich ein bitterer Kommentar auf die Jesus-Worte in Bezug auf die Pharisäer und den Tempel, die da lauten: ‘Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.’
Die Steine fallen falsch. Tröstet es, wenn zum Schluß alle unter einem liegen?
29. November 2014
"Alles ernste, alles tiefe Denken ist nur der Kampf der unerschrockenen Seele um ihre Freiheit auf hoher See, und alle Stürme Himmels und der Erde vereinen sich, sie an die verräterische Küste zu schleudern und zu unterjochen."
Herman Melville: Moby Dick; Hamburg 1958 (1851); S. 84
Mag der Hafen und das Land den Sterblichen freundlich gesinnt sein, die See birgt die Weite des Daseins. Die Oberfläche kann sich wandeln, der Horizont kann versprechen, die Tiefe kann bewahren. Wenn Bewahrung, Versprechen und Wandlung die Lebendigkeit unseres Seins ausmachen, so gebiert die See doch auch jene Gestalten und Chimären, an denen wir scheitern, ja untergehen können: die zerstörerische Oberfläche, der ewig entrückte Horizont, die ungeheuer verschlingende Tiefe.
Angesichts dieser Ambivalenz kann man es uns Menschen nicht verdenken, zu Landgängern geworden zu sein. Folgerichtig haben wir die Freiheit oftmals durch die Wahrheit ersetzt - wir stehen auf festen Boden, gegründet -, und nur einige tragische Gestalten, wie Kapitän Ahab, jagen in einer Verkennung und Verkehrung der Dinge nach der Wahrheit auf und in der See; und selbst das ist lange her.
Das Zerstörung der Meere ist primär keine ökologische Katastrophe. Man muss es umkehren. Weil wir uns nicht mehr um der Freiheit willen auf See wagen, deshalb ist es um die See so schlecht bestellt. Wir haben die See verlassen und sie uns. Seitdem stirbt sie.
13. Oktober 2014
"Unsere Lage war jetzt völlig verzweifelt, denn wir alle sahen, dass die See zu hoch ging, als dass unser Boot standhalten konnte, und dass wir daher unfehlbar ertrinken müssten."
Daniel Defoe: Robinson Crusoe; Frankfurt/M. / Leipzig 1993 (1719); S. 62
Wer sich in Gefahr begibt, kann darin umkommen, wer auf See ist, kann scheitern. Bindet man See und Freiheit zusammen, ist ein emphatischer Freiheitsbegriff mithin keineswegs so harmlos, wie man es sich wünschen würde. Der freiheitlich existenzielle Schwung bei der Entscheidung, ob ich mir morgens Kaffee oder Tee, ein gesundes Musli oder doch das Morgenbrot mit Schokoladenaufstrich gönne, ist zum Glück ein begrenzter. Wie verhält es sich hingegen mit solchen Entscheidungen, die das Handlungsfeld unumkehrbar verändern und sich zudem als falsch herausstellen können? Vom Banküberfall, bei dem unvorhergesehener Weise ein Teil des Bankpersonals erschossen werden musste, bis hin zur herzzereißenden Trennung, die in einem letzten bösen Wort oder einer letzten innigen Umarmung sich vollendet, ließen sich Beispiele finden.
Allerdings wies schon Karl Marx knapp 150 Jahre nach Defoe darauf hin, Stichwort Robinsonade, dass der vereinzelte Einzelne keineswegs das Produkt einer existenziellen Ausgangslage, sondern eines unaufgeklärten Vergesellschaftungszusammenhangs ist. Wie wahr - so weiß der Bankräuber nicht, dass sein Tun sozusagen das Ausbeutungsverhältnis, sprich Aneignung des Mehrwerts durch den Beschäftigungsträger, nur gewaltsam auf eigene Rechnung wiederholt. Und wie sollten die Trennenden wissen …
Nein, auch wenn Freiheit immer eine bedingte bleibt, umringt und getragen von dem Beziehungsnetz unseres Seins, wir sind tatsächlich auf See und der Wind ist dort manchmal rau und heftig. Und so müssen wir freudig und traurig zugestehen, dass niemand uns vor einem möglichen Schiffbruch bewahren kann und dass wir niemanden, wirklich niemanden für unseren Schiffbruch die Schuld geben können. Menschen die das anders sehen, könnte man auch Sklaven nennen - und entgegen einem gängigen Klischee lebt es sich als solcher unter Umständen bequemer und geruhsamer. Deshalb heißt dieser bei Defoe auch Freitag und nicht Montag.
11. September 2014
"Eine mürrische Düstre schwebte jetzt über uns - aber aus den milchigen Tiefen des Ozeans stieg es wie Glimmlicht auf, und stahl sich, der Bordwand des Bootes entlang, nach oben."
Edgar Allan Poe: Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket; München 1984 (1938); S. 239
‘Mürrische Düstre’ ist natürlich chic (Übersetzung von Arno Schmidt). Die Zeiten, in denen der lie-be Gott gütig von oben schaut, waren wohl damals schon vorbei. Die Hoffnung kommt von unten, feucht und unheimlich, leuchtet nicht, sondern glimmt. Ja, eine Frage der Übung sich daran zu erwärmen.
24. August 2014
"Er will keinen Trost, aber nicht deshalb, weil er ihn nicht will, - wer wollte ihn nicht, sondern, weil Trost suchen heißt: dieser Arbeit sein Leben widmen, am Rande seiner Existenz, fast außerhalb ihrer immer zu leben, kaum mehr zu wissen, für wen man Trost sucht, und daher nicht einmal imstande sein, wirksamen Trost zu finden, wirksamen, nicht etwas wahren, den es nicht gibt."
Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes; Frankfurt/M. 1980 (1920); S. 219 f.
So ist das wenn man älter wird. Als Kind die selbstverständlichste Sache der Welt, später fast unauffindbar. Was für den Trost gilt, trifft auch auf andere Gegebenheiten zu. Das Leben ist eine Art Dealer: Am Anfang werden einem die scheinbar großartigsten Dinge der Welt geschenkt, und nachdem man sich an sie gewöhnt hat, muß man im Laufe der Jahre feststellen, dass sie immer teurer werden; oder unerreichbar.
Und: bad impact, Mr. Kafka.
30 Juni 2014